Experimentelle Verneigung vor Festkörper-Vordenker John W. Cahn
Materialforscher im Helmholtz-Zentrum Geesthacht haben zum ersten Mal die Cahn-Larché-Formel mit Test bewiesen
Die meisten Materialwissenschaftler sind ihm im Studium begegnet: John W. Cahn, berühmter Physikalischer Chemiker und Vordenker der Werkstoffforschung. Aufgrund seiner teilweise bahnbrechenden Theorien und Forschung ist das Verständnis von Metallen und anderen Werkstoffen substanziell verbessert worden. John W. Cahn befasste sich insbesondere mit der thermodynamischen Beschreibung von Phasen-Phänomenen in Flüssigkeiten und Festkörpern. Mit seinem Doktoranden Francis Larché entwickelte er in den 1960er Jahren eine thermodynamische Theorie von Festkörpern unter Spannung. Einen zentralen Aspekt genau dieser Theorie haben die Materialforscher im Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) nun zum ersten Mal in einem Experiment nachgewiesen. Noch keinem anderen Forscher vor ihnen war das gelungen. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences, PNAS, veröffentlicht
Nanoporöses Palladium. Raster-Elektronenmikroskopische Aufnahme. [Foto: Shan Shi]
„Mit ein wenig Ehrfurcht haben wir unsere Versuche durchgeführt. Immerhin ist John W. Cahn die vielleicht bedeutendste Persönlichkeit in der Materialforschung gewesen,“ erklärt Dr. Jürgen Markmann, Physiker im HZG-Institut für Materialforschung. „Dass wir seine Theorie mit realen Experimenten bestätigen konnten, erfüllt unser Team mit einem gewissen Stolz.“
John W. Cahn.[Foto: © inamori Foundation, 2011]
Das Experiment steht in ausgezeichneter Übereinstimmung mit der Theorie und bestätigt eine zentrale Vorhersage zur Thermodynamik des 20. Jahrhunderts. Dabei geht es um Elastizitätsmodule von Metallen, in denen sich eine Atomsorte bei Belastung frei im Kristallgitter bewegen kann.
Dieser Prozess ist in makroskopischen Körpern wegen der langen Wege äußerst langsam und daher eigentlich nicht messbar. Er lässt sich aber dank der Cahn-Larché-Formel berechnen. Jürgen Markmann: „Wir haben in einer nanoporösen Palladium-Probe mit extrem kurzen Transportwegen Wasserstoff-Atome dazu gebracht, sich entsprechend der Cahn-Larché-Vorhersage zu verhalten und konnten das auch messen.“
Wasserstoff-Atome bewegen sich durch Palladium-Netzwerk
Eine vereinfachte Darstellung des Experiments am Beispiel der Drahtbiegung: Biegt man den Draht, dann verhalten sich die Atome wie folgt: Im unteren Bereich werden diese zusammengedrückt und oben ergibt sich dadurch etwas mehr Platz. Die kleineren Wasserstoff-Atome rutschen nach oben, drücken dort die Palladium-Atome weiter auseinander. [Bild: Jürgen Markmann]
Die experimentellen Nachweise lassen sich gut mit dem folgenden Beispiel erklären. Biegt man einen aus einer metallischen Legierung bestehenden Festkörper, dann verhalten sich die Atome in dem Köper wie folgt: Im unteren Bereich werden diese zusammengedrückt und oben ergibt sich dadurch etwas mehr Platz. Die kleineren Wasserstoff-Atome rutschen nach oben, drücken dort die Palladium-Atome weiter auseinander.
Dazu Jürgen Markmann: „Der Elastizitätsmodul war theoretisch nachzuvollziehen, rein praktisch ist die Änderung in den meisten Legierungen aber nicht nachweisbar, weil diese Umstrukturierung auf atomarer Ebene dort viel zu langsam geht. Erst in unseren nanoporösen Palladium-Legierungen waren die dazu notwendigen Wege für den Wasserstoff kurz genug und die Auswirkung auf den Elastizitätsmodul messbar.“
Die HZG-Materialforscher sind Spezialisten, wenn es darum geht poröse Nanomaterialien aus Metall herzustellen. Der Durchmesser der Metallteilchen beträgt knapp zwanzig Nanometer. Zum Vergleich: Ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter. Einige Milliarden dieser Palladium-Nanoteilchen werden zu einem porösen Netzwerk verknüpft. Daraus werden millimetergroße Probenzylinder gefertigt. Die Probe wird in Säurelösung getaucht und mit angelegter elektrischer Spannung konnten die Phasen-Phänomene untersucht werden.
John W. Cahn selbst hat leider von dem Experiment nichts mehr erfahren. Der Pionier der Materialforschung, Professor für Metallurgie am Massachusetts Institute of Technology sowie am National Institute of Standards and Technology, und Träger unter anderem des Kyoto-Preises starb 2016 im Alter von 88 Jahren in Seattle.
Palladium hat die Ordnungszahl 46, ist ein seltenes Übergangsmetall und zählt zu den Platinmetallen. Als Katalysator beschleunigt das Element Reaktionen insbesondere in Verbindung mit Addition oder Eliminierung von Wasserstoff.
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