5 Fragen an Johannes Bieser
Das Programm „Global Mercury Observation and Training Network in Support to the Minamata Convention“, kurz GMOS-Train, hatte über fünf Jahre das Ziel, das globale Vorkommen von Quecksilber besser zu verstehen. Es wurde vom Horizon 2020 Marie Skłodowska-Curie Programm der EU gefördert. Neben der Stärkung der Quecksilberforschung sollten junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigt werden, sich durch ein netzwerkbasiertes Ausbildungsprogramm weiterzubilden. Atmosphärenchemie und -physik, aquatische Chemie, Ökologie, analytische Chemie, multimediale Modellierung und Sozialwissenschaften kamen zusammen. Zudem gab es eine übergreifende Kooperation mit akademischen und nichtakademischen Partnern, NGOs und internationalen Organisationen.
Wie ist der Hereon-Anteil an GMOS-Train?
Johannes Bieser: GMOS-Train untersucht die Verbreitung von Quecksilber im Wasser und an Land - in der gesamten Atmosphäre. Als Marie Sklodovska Curie Integrated Training Network gehört es neben den ERC Grants der Europäischen Kommission zu den prestigeträchtigsten Förderprogrammen. Neben der wissenschaftlichen Exzellenz geht es um die Ausbildung junger Forschender. In GMOS-Train haben wir mit 11 europäischen Partnerinstituten 15 Doktorandinnen und Doktoranden ausgebildet. Dabei gab es einen internationalen Austausch der jungen Menschen zwischen den Institutionen. Wir haben am Hereon drei Doktoranden direkt betreut, hatten zusätzlich sechs Co-Betreuungen durch das Hereon-Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung. Im Projekt war ich leitend für das Arbeitspaket „Multi-compertment modeling“ zuständig. Dieses bezog sich auf die wissenschaftlichen Vernetzungen zwischen der Atmosphäre, dem Ozean und marinem Ökosystem. Dazu haben mein Kollege Martin Ramacher vom Institut für Umweltchemie des Küstenraumes und ich unter anderem eine Hackathon PhD School in Hamburg organisiert – also eine Art Programmierwettbewerb. Es wurde in einer eigens gemieteten Büroetage programmiert und modelliert. Da steht dann eine Kiste Mate, es gibt viel Kaffee und gegessen haben wir am örtlichen Crêpes-Stand. Es ist so inspirierend, wenn junge Menschen zusammenarbeiten, die sonst im Labor stehen, und dann anfangen, mit uns Software-Codes zu schreiben. Wir haben diskutiert und voneinander gelernt – es entstand ein toller Spirit.
Was waren die Schwerpunkte der Forschung?

Wissenschaftler Dr. Johannes Bieser. Foto: privat
Die Neuentwicklung eines digitalen Modells, das den komplexen Quecksilber-Kreislauf im Ozean abbildet. Das bedeutete: Auf der einen Seite die chemischen Prozesse zwischen elementarem, oxidiertem und methyliertem Quecksilber zu verstehen. Auf der anderen Seite die Bioakkumulation in der marinen Nahrungskette. Der Begriff Bio-Akkumulation bezeichnet die Anreicherung von Schadstoffen. So kann der Quecksilbergehalt in Phytoplankton 100.000- bis 1.000.000-mal höher sein als im Wasser. Und mit jedem Schritt in der Nahrungskette reichert es sich mehr und mehr an. Während das Quecksilber in Luft und Wasser weit entfernt davon ist, gefährlich für den Menschen zu sein, ist die Akkumulation in Fischen eine reale Gefahr. Das alles wurde so noch nie modelliert und wir wussten nicht, ob wir an unüberwindbare Grenzen stoßen. Tatsächlich verlief die Entwicklung aber tadellos. Sie erforderte schlicht ordentliche Recherche und Tests. Wir haben alle Prozesse aus der Literatur recherchiert und einfließen lassen – und konnten damit den Quecksilberkreislauf nachzeichnen. Die größte Challenge war aber die Organisation mit den Doktorandinnen und Doktoranden, denn die Betreuung und Co-Betreuung zusammen mit den regelmäßigen Gruppen und Einzeltreffen nahm viele Ressourcen in Anspruch. Aber es ist wirklich eine Inspiration. Ich als bald Mitvierziger habe gelernt, wie der Nachwuchs tickt. Zudem hatten wir Leute aller Fachrichtungen da. Der Physiker, der mehr Mathe kann als ich. Die Biologin, die mir ein Ökosystem erläutern kann. Da kam so unheimlich viel Wissen zusammen. Es sind Freundschaften entstanden. Ich schreibe noch mit vielen Teilnehmenden regelmäßig. Mit einigen arbeite ich auch weiter zusammen.
Welche Herausforderungen gab es generell?
Ganz viele! Der Projektbeginn, ich hatte auch maßgeblich am Projektantrag mitgewirkt, war Januar 2020. Wir sind mit unserem auf Mobilität der Teilnehmenden fokussierten Projekt direkt in den globalen Corona-Lockdown gestartet. Es war vorgesehen, Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Ausland von den jeweiligen Instituten zu uns zu holen. Es war dann ein großes Problem, überhaupt alle Leute ins jeweilige Land zu bekommen und die Bereitstellungen eines Gästestatus mussten zwischendurch ausgesetzt werden. Als wir uns dann wirklich in Hamburg trafen, musste ich die Doktoranden nur ein einziges Mal daran erinnern, dass sie ihre sonstigen Projekte von zuhause kurz vergessen und sich auf unser Ding fokussieren sollen. Diese einmalige Klärung hat gereicht. Die Motivation war unheimlich hoch.
Wie ließen sich die Herausforderungen meistern?
Das Corona-Problem mussten wir aushalten. Mit den Doktorandinnen und Doktoranden, die im Bereich Modeling arbeiteten, begann ich, wöchentlich einen Nachmittag Online-Meetings abzuhalten. Wir haben es so tatsächlich geschafft, mehr Kontakt zu haben als ohne Lockdown. Überhaupt waren für mich persönlich Videocalls und mobiles Arbeiten eine überfällige Innovation in unserer Arbeitswelt. Wegen des Lockdowns wurde das Projekt von der EU kostenneutral um ein Jahr verlängert, so dass wir den persönlichen Austausch nachholen konnten. Die Zusammenarbeit mit den Gruppen, die im Labor arbeiten, verlief wirklich überraschend reibungslos. Es war ein zentrales Anliegen, dass Messende und Modellierende zusammenarbeiten – und nicht nebeneinanderher. Herausforderungen aufzulösen, hieß auch, seine ganze Arbeitskraft in dieses Projekt zu stecken. Es war so erfreulich, dass alle ein Ziel hatten und wir zusammengewachsen und letztlich erfolgreich gewesen sind.
Die EU-Kommission hat Sie und Ihr Team von GMOS-Train als eine der „Erfolgsgeschichten“ aus den im Rahmenprogramm geförderten Projekten gelistet. Was sind die Ziele für die Zukunft?

Quecksilber im Wasser und in der Atmosphäre zu modellieren, war eine komplexe Aufgabe. Foto: Jim Witkowski via Unsplash
Das Projekt ist gerade ausgelaufen, aber die Arbeit geht weiter: Jetzt steht die „Erntezeit“ an. Das bedeutet: Wir haben so viel neues Material, dass wir erstmal damit beschäftigt sind, die Erkenntnisse in die Modelle einzubauen und unsere Entdeckungen zu veröffentlichen. Kurz gesagt: Erst einmal Papers schreiben, bevor man neue Anträge verschickt. Zwei bis drei Paper werde allein ich veröffentlichen. Das schöne, an einem Helmholtz-Forschungszentrum beschäftigt zu sein: Man kann an seinen Themen dranbleiben. Und das wird bei mir Quecksilber sein. Wir haben viele neue Daten und Prozesse, die wir ins Modell einbauen und evaluieren können. Mit dem Modell sind wir zum Beispiel in einem Projekt aktiv, das für die Evaluation der UN Minamta Convention on Mercury ein Modellensemble für den globalen Quecksilberkreislauf errechnet. Dieses Papier der Vereinten Nationen ist ein internationaler Vertrag zur Reduktion von Quecksilber. Alle sechs Jahre sieht die Konvention vor, dass der Fortschritt evaluiert wird. Daran arbeiten wir mit. Es ist immer sehr sinnstiftend und beglückend, wenn die eigene Arbeit greifbare Ergebnisse hervorbringt. Uns wird vorerst nicht langweilig werden.
Vita
Dr. Johannes Bieser arbeitet seit 2006 am Helmholtz-Zentrum Hereon, damals noch als Student. Er ist ein Modellierer, der mit der Modellierung von Emissionen und Luftverschmutzung begann. Heute entwickelt er Multikompartiment-Modelle für Schadstoffe von globalem Interesse. Neben Quecksilber beschäftigt er sich derzeit mit PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen). Seine Doktorarbeit schrieb Bieser am damaligen Helmholtz-Zentrum Geesthacht, wo er ein Modell zur Bewertung des Einflusses von Emissionen auf die Luftqualität entwickelte. Der Titel der Dissertation lautete „Entwicklung eines europäischen Emissionsmodells für die chemische Transportmodellierung“ (SMOKE for Europe). Er schloss sein Studium der Umweltwissenschaften an der Universität Lüneburg 2007 ab.
Spitzenforschung für eine Welt im Wandel
Das Ziel der Wissenschaft am Helmholtz-Zentrum Hereon ist der Erhalt einer lebenswerten Welt. Dafür erzeugen rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Wissen und erforschen neue Technologien für mehr Resilienz und Nachhaltigkeit – zum Wohle von Klima, Küste und Mensch. Der Weg von der Idee zur Innovation führt über ein kontinuierliches Wechselspiel zwischen Experimentalstudien, Modellierungen und künstlicher Intelligenz bis hin zu Digitalen Zwillingen, die die vielfältigen Parameter von Klima und Küste oder der Biologie des Menschen im Rechner abbilden. Damit wird interdisziplinär der Bogen vom grundlegenden wissenschaftlichen Verständnis komplexer Systeme hin zu Szenarien und praxisnahen Anwendungen geschlagen. Als aktives Mitglied in nationalen und internationalen Forschungsnetzwerken und im Verbund der Helmholtz-Gemeinschaft unterstützt das Hereon mit dem Transfer der gewonnenen Expertise Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft.
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