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| Pressemitteilung

Silizium zeigt Muskeln

Wissenschaftler von TU Hamburg und Helmholtz-Zentrum Geesthacht entwickeln neue Materialkonzepte für Technik von morgen

Ob Smartphone, Laptop, oder Smart Watch: Das chemische Element Silizium findet sich in jedem elektronischen Bauteil und noch so kleinen Computerchip. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es nun gelungen, Silizium Muskelkraft zu verleihen. Mit dieser neuen Eigenschaft kann das Material erstmals elektrische Signale in mechanische Bewegungen umwandeln. Damit bietet das neue Hybridmaterial völlig neue Perspektiven für die chipbasierte Technik von morgen. An dem Projekt arbeiten neben der der Technischen Universität Hamburg auch Forschende der Universität Hamburg (UHH), des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG) zusammen.

Pressemitteilung der TUHH

Grün-rote Silizium-Linien durchziehen das blaue Polypyrrol

Simulation der Spannungen in den Silizium-Wänden von circa 10 Nanometer Dicke (grün-rot) infolge Ionenbeladung des Polypyrrols (blaue Bereiche). Bild: TUHH/HZG

Damit der Lautsprecher in einem Smartphone funktioniert, bedarf es sogenannter aktorischer Materialien. Diese führen kleine Bewegungen im Mikrometer- und Nanometerbereich elektrisch und sehr präzise aus und bringen damit beispielsweise Luft zum Schwingen. Bisher konnte Silizium derartige Funktionen nicht übernehmen.

„Um das zu ändern, ahmten wir auf künstliche Art und Weise das nach, was die Natur bereits in Biomaterialien wie Knochen oder Zähnen durch eine geschickte Kombination von weicher und harter Materie umsetzt“, sagt Wissenschaftler Patrick Huber von der TU Hamburg.

Vielversprechendes Hybridmaterial

Silizium (grau) mit in Nanoporen eingebetteten Muskelpolymeren (grün) zeigt als Funktion kleiner elektrischer Spannungen in wässriger Umgebung reversible Ausdehnung und Kontraktion.

Silizium (grau) mit in Nanoporen eingebetteten Muskelpolymeren (grün) zeigt als Funktion kleiner elektrischer Spannungen in wässriger Umgebung reversible Ausdehnung und Kontraktion.
Grafik: TUHH

Dazu stattete sein Team kleinste Nanokanäle in hartem Silizium mit dem künstlichen, umweltfreundlichen und weichen Muskelpolymer Polypyrrol aus. „Uns ist es gelungen, dass sich diese Muskelmoleküle und damit das komplette Siliziumgerüst des Hybridmaterials unter elektrischer Spannung ausdehnt und anschließend wieder zusammenzieht“, erklärt der Physiker. Dabei ist das neue Material ähnlich groß wie in vielen lebenden Systemen, wo es zur Reizleitung und zur Kontrolle von Bewegungen genutzt wird. Zudem benötigt es in wässriger Umgebung nur sehr kleine elektrische Spannungen für die Umwandlung von elektrischen Signalen in mechanische Bewegung.

„Das macht das Hybridmaterial besonders vielversprechend für Anwendungen in biologischen oder bio-medizinischen Systemen“, erläutern Manuel Brinker, der Erstautor der Studie, zusammen mit Koautor Guido Dittrich, beide Doktoranden an der TU Hamburg.

Tatsächliche Eigenschaften des Aktors

TEM-Aufnahme des npSi/PPy-Kompositmaterials (npSi = nanoporöses Silizium; Ppy = Polypyrrol). Bild: HZG/TUHH

TEM-Aufnahme des npSi/PPy-Kompositmaterials
(npSi = nanoporöses Silizium; Ppy = Polypyrrol). Bild: HZG/TUHH

Um die Strukturen des Materials korrekt darzustellen, mussten zunächst die Abbildungen, die durch Transmissionsmikroskopie (TEM) erzeugt wurden, in ein kalibriertes Computer-Modell überführt werden.

Materialforscher Professor Norbert Huber, Institutsleiter im HZG erklärt: „Das TEM-Bild zeigt nur unterschiedliche Graustufen. Es war zunächst schwer zu unterscheiden, was davon Polypyrrol und was Silizium ist.“ Um dies herauszufinden haben die HZG-Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die Aufteilung der Bildinformation in die beiden Materialanteile über eine Simulation des messbaren mechanischen Verhaltens quasi rückwärts kalibriert.

„So konnten wir am Ende das TEM-Bild in ein realitätsgetreues Finite-Elemente-Modell überführen und haben dadurch eine Menge über die tatsächlichen Eigenschaften der sehr unregelmäßig ausgeformten Siliziumwände sowie über ihre Rolle im Mechanismus des Aktors gelernt“, so Norbert Huber.

Im Sonderforschungsbereich SFB 986 werden neben Silizium mit Muskeln weitere neue Materialsysteme erforscht. Diese sind Teil des neu eingerichteten Center for Integrated Multiscale Materials Systems, kurz CIMMS, das von der Hamburger Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke im Januar 2020 mit knapp vier Millionen Euro auf insgesamt vier Jahre gefördert wurde. Dort leitet der TU-Wissenschaftler Patrick Huber die Arbeitsgruppe „Physik von funktioneller Materie und hochauflösende Röntgenanalytik von Materialien“ im Rahmen einer kooperativen Professur zwischen DESY und TU Hamburg mit Anbindung an das Zentrum für hybride Nanostrukturen (CHyN) der UHH.

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Franziska Trede

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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